Sanierung eines insolvenzreifen Unternehmens in der Medizintechnik
Covid-19 | Fortführungsprognose | Controlling
Das Projekt im Überblick:
- Controlling der Leistungsbereiche aufgebaut und Schwächen aufgedeckt
- Überschuldung und negative Fortführungsprognose - Insolvenzreife festgestellt
- Gesellschafter wenden Insolvenz durch Kapitalerhöhung und neue Liquidität ab
- Strategische und operative Analyse der Krisenursachen offenbart Versäumnisse
- Umfangreiches Maßnahmenpaket für zukunftssichere Ausrichtung erarbeitet
- Covid19-Folgen zwingen Unternehmen letztlich doch ins Insolvenzverfahren
- Erstellung eines Sanierungskonzeptes nach Standard IDW S6
Der Interim Manager begleitete ein von der Zahlungsunfähigkeit bedrohtes mittelständisches Unternehmen der Medizintechnik ein Jahr lang durch den Sanierungsprozess. Dabei konnte eine Insolvenz zunächst erfolgreich außergerichtlich abgewendet werden. Im Zuge der Covid-19-Pandemie kam es dann aber doch zu einem Insolvenzverfahren. Die Hauptaufgaben des Interim Managers umfassten die Beratung der Geschäftsleitung in allen Fragen von Insolvenz und Restrukturierung sowie den Aufbau eines effizienten Controllings.
Controlling der Leistungsbereiche aufgebaut und Schwächen aufgedeckt
Das Traditionsunternehmen war als „verlängerte Werkbank“ in einen Großkonzern der medizintechnischen Komponentenfertigung eingegliedert worden. Nach einem Carve out und weiteren Eigentümerwechseln wurde es zum Zeitpunkt des Mandats von einer mittelständischen Unternehmensgruppe gehalten.
Der Interim Manager war ursprünglich von den Gesellschaftern beauftragt worden, das Controlling der Leistungsbereiche Einkauf, Supply Chain und Produktion einer Revision zu unterziehen. Das Ziel: ein an den Bedürfnissen der Führungskräfte ausgerichtetes Kennzahlencockpit aufzubauen. Der IT-affine Interim Manager nutzte dafür das ERP Systems SAP R/3 und die Standardsoftware MS-Excel. Er gestaltete ein Kennzahlencockpit, das einen schnellen Überblick über aussagekräftige Parameter schaffte wie Auslastung, Nutzungsgrad, Produktivität, Kostenstellenabweichung und Kennzahlen zum Working Capital wie Vorräte (Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffe und Fertigerzeugnisse).
Die neue Transparenz offenbarte aber auch erste Schwachstellen in der sehr heterogenen Fertigung:
- Personelle und anlagenbezogene Überkapazitäten von bis zu 30 Prozent aufgrund Auftragsmangels
- Trotz der Überkapazitäten hohe Rückstände und WiP im Produktionsprozess
- Fehlende Gesamtsteuerung des Produktionsprozesses
- Ineffiziente Einkaufsprozesse durch mangelnde Digitalisierung
- Hohe Kapitalbindung, ergo fehlende Liquidität durch Überbestände
Allerdings waren die Ursachen für die prekäre Lage des Unternehmens nicht ausschließlich im operativ produktionellen Bereich zu finden, sondern lagen weitaus tiefer als es zunächst schien.
Überschuldung und negative Fortführungsprognose - Insolvenzreife festgestellt
Im nächsten Schritt analysierte der Interim Manager gemeinsam mit der Geschäftsleitung die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie die Gesamtsituation des Unternehmens. Im Ergebnis musste eine Insolvenzreife festgestellt werden. Es war absehbar, dass das Unternehmen zum nächsten Stichtag überschuldet sein würde. Die zwischenzeitlich einer Revision unterzogene und reaktivierte aktuelle Liquiditätsplanung wies mehrere Unterdeckungen im relevanten Planungszeitraum auf.
Diese Kombination hatte eine negative Fortführungsprognose zur Folge, die der Interim Manager als Erfüllung der Insolvenzreife erkannte und der Geschäftsleitung sowie dem Gesellschafterkreis anzeigte. Er machte die im Insolvenzrecht wenig bewanderte Geschäftsleitung zudem mit der haftungsrechtlichen Relevanz seiner Feststellung vertraut:
- Auszahlungsverbot gemäß GmbHG ab Eintritt der Insolvenzreife
- Persönliche Haftung des Geschäftsleiters für alle Auszahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife
- Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags innerhalb einer Frist bzw. Beseitigung der Insolvenzgründe
Gesellschafter wenden Insolvenz durch Kapitalerhöhung und neue Liquidität ab
Gleichzeitig präsentierte er verschiedene Handlungsoptionen, sowohl außergerichtliche als auch gerichtliche. Auf Anregung des Interim Managers beschloss die Unternehmensleitung, die Überschuldung durch eine Kapitalerhöhung und liquiditätszuführende Maßnahmen zu beseitigen. Zudem entstand ein umfassendes Bündel an kurz- und mittelfristigen Maßnahmen, dessen Umsetzung zeitnah eingeleitet wurde. Dazu gehörten:
- Senkung der Einkaufspreise durch Neuverhandlung der Lieferantenverträge bei A-Materialien
- Konzeption für die Bestandssteuerung der Rohstoffe/Materialien durch Reichweiten
- Abbau der Stunden auf den Gleitzeitkonten der Mitarbeiter
- Kurzarbeit und temporäre tarifvertragliche Arbeitszeitabsenkung
- Einstellungsstopp, keine Verlängerung bzw. Beendigung befristeter Arbeitsverhältnisse
- Outsourcing von Produktionsteilen
- Kündigung nicht kostendeckender bzw. defizitärer Aufträge
- Preiserhöhungen für auslaufende Produkte
- Reduktion der Vorräte an Fertigerzeugnissen in Konsignationslägern
- Vorruhestandsregelungen
Der Interim Manager präsentierte den Fortschritt der Maßnahmen und das Kennzahlencockpit im monatlichen Steering Comitee Meetings vor den Gesellschaftern.
Strategische und operative Analyse der Krisenursachen offenbart Versäumnisse
Die strategische Analyse der Krisenursachen von Geschäftsleitung und Interim Manager kam zu dem Ergebnis, dass seit dem Carve out notwendige strategische Veränderungen nicht erfolgt waren. So hatte man es beispielsweise versäumt, das Produktportfolio von der einfachen Komponentenfertigung auf die mit Partnern betriebene Entwicklung kompletter Systeme auszuweiten. Unter anderem deshalb war das Unternehmen in der Abhängigkeit von einigen wenigen Großkunden.
Aber auch aufseiten der Prozesse hatte das Unternehmen nicht ausreichend agiert. Eine Transformation von starren Konzernstrukturen, -prozessen und -Kultur zu einem agilen Mittelständler war ausgeblieben – ebenso wichtige Ersatzinvestitionen in Struktur und Anlagen.
Umfangreiches Maßnahmenpaket für zukunftsichere Ausrichtung erarbeitet
Aus der Analyse leiteten Geschäftsleitung, Führungskreis und Interim Manager einen umfassenden Katalog an lang- und mittelfristigen Maßnahmen ab. Dazu gehörten unter anderem:
- Auf Basis einer internen Analyse Stärken und Schwächen sowie einer externen Marktanalyse wurde ein potenzielles zukünftiges Produktportfolio ausgearbeitet und die für die Realisierung notwendigen Ressourcen geplant.
- Das aktuelle Produktportfolio wurde mit dem Ziel der Identifikation von margenschwachen und defizitären Produkten und der Erarbeitung von Handlungsoptionen zur Margenerhöhung überprüft.
- Für die 3-Jahresplanung wurde ein Konzept für den Abbau der identifizierten personellen Überkapazitäten erarbeitet.
- Aufgrund einer vom Interim Manager erarbeiteten Make-or-Buy Analyse wurde ein relevanter Bereich der Produktion (Oberflächenvorbehandlung) vollständig integriert.
Covid19-Folgen zwingen Unternehmen letztlich doch ins Insolvenzverfahren
Nachdem das Unternehmen nunmehr die Voraussetzungen für gesundes Wirtschaften gelegt hatte, ließ die Covid-19-Pandemie den Umsatz um ca. 20 Prozent einbrechen. Das belastete das Unternehmen so stark, dass der Interim Manager erneut die Insolvenzreife feststellen musste. Im Gegensatz zum 1. Mal waren die Gesellschafter jetzt aber nicht mehr bereit, neue Liquidität zur Verfügung zustellen.
Der Interim Manager beriet das Unternehmen daraufhin eingehend über die Möglichkeiten der gerichtlichen Sanierung des Unternehmens in Eigenverwaltung. Aufgrund der Komplexität eines solchen Verfahrens wurde ein auf Eigenverwaltungsverfahren spezialisiertes Beratungsunternehmen hinzugezogen.
Erstellung eines Sanierungskonzeptes nach Standard IDW S6
Bei der Einleitung und während des sogenannten vorläufigen Verfahrens erarbeitete der Interim Manager in Zusammenarbeit mit der Sanierungsberatung ein Sanierungskonzept nach IDW S6 Standard, in das die im Vorfeld erarbeiteten Erkenntnisse über Schwachstellen und Gegenmaßnahmen einflossen. Das Sanierungskonzept musste unter hohem Zeitdruck innerhalb 3 Monaten erstellt werden. Dabei leistete die durch den Interim Manager wiedererlangte Transparenz im Controlling einen wesentlichen Beitrag zur fristgerechten Fertigstellung.
Nach fast 12 Monaten endete der Einsatz des Interim Managers. Sein Verbleib für die weitere Umsetzung der erarbeiteten Sanierungsmaßnahmen wurde erwogen, jedoch aufgrund zeitlicher Restriktionen verworfen.